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Illegale Ferienvermietung – Blick nach vorn – Sylt erlebt eigene Zeitenwende

Ja. Spätestens jetzt ist man aufgewacht im Verein der Sylter Unternehmer, beim Dehoga, bei den großen Vermietagenturen, in der Kommunalpolitik, in den Banken, den Notariatskanzleien und Maklerbüros. Der Kreis Nordfriesland macht tatsächlich ernst und geht stringent gegen illegale Ferienvermietung vor. Es trifft fast alle. Auch die, die gar nicht vermieten, aber ihre Keller, Spitzböden, Gartenschuppen und Garagen ohne Genehmigung zu Wohnzwecken ausgebaut haben. Es tritt ein, was niemand ernsthaft erwartet hat: Das Wuchern kommt an sein Ende.

Die Konsequenzen sind bitter: Existenzen sind bedroht. Finanzierungen platzen. Investments stehen plötzlich infrage. Großprojekte müssen überdacht werden. 

Die Zahl der Betroffenen geht in die Tausende. Allein auf der Insel. Die Behörden legen jetzt schonungslos offen, wie eklatant geltendes Recht missachtet wurde, mit welcher Selbstverständlichkeit in eine Hausscheibe drei Ferienapartments gequetscht wurden, aus einem Wohnhaus im Handumdrehen ein Ferienhaus wurde. Aber nicht nur unsere Insel ist davon betroffen. Auch in Sankt Peter, auf den Nachbarinseln, in ganz Nordfriesland werden zum Entsetzen der Eigentümer und Eigentümerinnen Objekte stillgelegt. Das ist eine Zeitenwende. 

+++ Die Insel entmietet ihre Kinder +++

Jahrzehntelang haben die zuständigen Behörden die Verstöße gegen Recht und Gesetz zwar immer wieder angemahnt und dann doch lange geduldet, bis es einfach nicht mehr zu übersehen war: Die Insel entmietet ihre Kinder, ruiniert das soziale Gefüge, übersteigert den Tourismus und die Bauwirtschaft ins Groteske. 

Wer das nicht wahrhaben wollte, hat nicht richtig hingesehen. Schon lange ist das Verhältnis Dauerwohnung/Ferienwohnen in Schieflage. Nun gilt es aufzuarbeiten, warum die Gemeindevertretungen so viele, viele Jahre versäumt haben, aussagekräftige, gesetzeskonforme Bebauungspläne zu beschließen. Die Planungshoheit obliegt den Gemeinden. Dort werden und wurden die Entscheidungen gefällt. Im Zweifel offenbar immer für den weiteren Ausbau des Tourismus.

 

+++ Für die Einwohner und Einwohnerinnen zu wenig getan +++

Und so gibt es auf Sylt seit knapp fünfzehn Jahren offiziell kein Bevölkerungswachstum mehr. Die Insel verharrt bei rund 18.000 Einwohnern. Das ist insofern auffällig, weil im selben Zeitraum die Bautätigkeit auf der Insel geradezu explodierte. Auf der Insel wurde seit 2011 zweieinhalb Mal so viel gebaut wie im Rest von Nordfriesland und viereinhalb Mal so viel im übrigen Schleswig-Holstein*. Die Übernachtungszahlen überspringen mittlerweile die Rekordzahl von sieben Millionen im Jahr. Auf Sylt wurde extrem viel gebaut. Fast ausschließlich für den Tourismus. 

+++ Landesregierung sieht sich nicht in der Verantwortung +++

Nun macht der Kreis also ernst und ahndet offensichtliche Rechtsverstöße. Die Verantwortung für das, was jetzt passiert und was viele in ernsthafte Nöte bringt oder noch bringen wird, liegt jedoch nicht beim Kreis. Auf den zu schimpfen, ist unredlich. Der macht nur seinen Job. Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr. Die Verantwortung liegt bei denen, die fehlerhaft genehmigt haben, bei denen, die wissentlich fehlgenutzt haben und bei denen, die das alles über Jahrzehnte gedeckt haben und bei der Politik, die so getan hat, als gelte die Rechtsprechung überall – nur nicht auf Sylt. 

Es hilft auch nicht, jetzt die Landesregierung in Kiel anzurufen, man möge von dort aus eingreifen…, wobei eigentlich? Die Rechtsbrüche zu dulden? Kein Wunder, dass die zuständigen Minister das Anliegen zurückweisen. 

So bitter es ist: diese Krise ist MADE ON SYLT. Und genau hier liegt auch die Lösung. 

Es macht keinen Sinn, sich noch weiter gegenseitig mit Schuldzuweisungen zu überziehen und kostbare Zeit zu verplempern. Diese Krise muss jetzt aktiv und kraftvoll gemanagt werden. So schmerzhaft und bitter es wird. In zehn Jahren wird Sylt anders aussehen. Das ist eine Chance. 

Vielleicht wird es wieder ein entspanntes, lebenswertes Sylt – ohne sommerlichen Verkehrsinfarkt, ohne aggressive und drangvolle Enge, ohne Gewinnmaximierung auf Teufel komm raus. Ein entspanntes Sylt, wo man wieder gerne hinziehen möchte mit Kind und Kegel, weil es tolle Schulen, Sportmöglichkeiten, moderne Wohnungen und erschwingliche Häuser gibt. Wo man gern ganzjährig bleiben möchte, weil es einfach schön ist auf einer Nordseeinsel zu leben. Wo es dann auch wieder junge Familien gibt, wo das Dorfleben zurückkehrt und man sich wieder auf sich selbst besinnt. Erste Pflänzchen wachsen schon. In der Strandstraße gab es viel Leerstand in den Geschäften, nun ist dort schräg gegenüber vom Hotel Stadt Hamburg „Sylt Keramik“ eingezogen. Man reibt sich die Augen. Sowas gab es hier jahrelang nicht. Und der Hansen-Hof schmückt die Friedrichstraße. Toll. Mehr davon.

Für die einen ist es eine Katastrophe, für die anderen eine Chance. Diejenigen Politiker, die ihre Wähler und Wählerinnen auch gerne mal als Gegner sehen, sollten sie als Partner mit ins Boot holen. 

Denn die meisten sind Betroffene in der neuen Situation. Ideen sind gefragt. Initiative ist gefragt. Dafür wurden das von Spezialisten moderierte Konzept der „Bürgerräte“ erfunden. Es geht nur gemeinsam.

*Quelle: Beherbergungskonzept 2022 (dann vor ziemlich genau einem Jahr einstimmig in der Gemeindevertretung beschlossen.)
Spiegel Nr 13 v 23.03.2024