Faktencheck

Was ist das BHK?

Das Beherbergungskonzept (BHK)

Zu viele Ferienwohnungen. Zieht Sylt die „Notbremse“?
Vielen Zeitungen – bundesweit – war das neue „Beherbergungskonzept“ eine Schlagzeile wert. „Insel zu voll! Wie Sylt jetzt gegen den Tourismus vorgeht“ (Mopo), „Kommen schärfere Regeln für neue Ferienunterkünfte“ (RND), „Immobilienboom auf den Nordseeinseln: Sylthaft teuer“ (Spiegel), „Sylter wollen Tourismus begrenzen“ (Abendblatt) oder „Keine neuen Ferienhäuser mehr auf Sylt“ (Bild). Anlass war die Vorstellung eines neuen Gutachtens, das eine Begrenzung der Feriennutzung für unabdingbar hält, wenn die Infrastruktur der Insel auch weiterhin funktionieren soll.

Worüber reden wir? Was ist das „Beherbergungskonzept“?

Wie steht „Merret reicht’s – Aus Liebe zu Sylt“ dazu?
Hier geben wir unsere Einschätzung ab.

Am 3.Mai 2022 wurde anlässlich der Sitzung des Bauausschusses der Endbericht zum möglichen Beherbergunskonzept der Gemeinde Sylt durch die Beratungsgesellschaft CIMA vorgestellt. Das Beherbergungskonzept wäre dann, wenn verabschiedet, eine einheitliche rechtssichere Beurteilungsgrundlage für den Umgang mit Nutzungen, die der touristischen Beherbergung dienen. 

Was ist gut?
Es handelt sich um eine bislang fehlende systematische, Erfassung der Ist-Situation von touristischem Angebot und dessen Einbettung in die baurechtlichen Zusammenhänge. Sie stellt auch die Zusammenhänge dar zwischen den Problemen Dauerwohnraum, Verkehr, Fachkräftemangel. Diese übergreifende Sichtweise ist hervorragend gelungen und stellt auch die gegenseitige Abhängigkeit der Problemkreise dar. Bisschen zu viele „auch“.s 

Es wird zudem deutlich, dass die Tourismusstrategie von 2016 zwar ein ausschließlich qualitatives Wachstum vorsieht, dennoch auch quantitatives Wachstum stattgefunden hat.
„Es bleibt festzuhalten, dass trotz einer klaren Qualitätsorientierung und einer restriktiveren Bauleitplanung auch angebotsseitig in den vergangenen Jahren bei den Betrieben über 10 Betten eine Ausweitung stattgefunden hat.“ (CIMA S.25ff) 
Die Analyse der CIMA geht einher mit der Statistik des Insel Sylt Tourismus Service (unserer Kurverwaltung) über die Anreisen, Betten und Übernachtungen in den Jahren 2020 und 2021, wonach die Bettenzahl in der Kategorie Ferien-App. um 1,5 % auf 30.409 Betten gestiegen ist. Das wiederum hatte zur Folge dass die Anreisen in dieser Kategorie um 5% stiegen und die Anzahl der Übernachtungen um 3%. (ISTS, Nachhaltigkeitsbericht 05.2022).

Das Fazit der Verfasser ist ziemlich klar: Dauerwohnen muss den Vorrang haben vor touristischem Wohnen. Es dürfen keine weiteren Genehmigungen von Ferienwohnungen und Zweitwohnungen – für alle Ortsteile der Gemeinde Sylt – ausgesprochen werden. Dies entspricht auch den Aussagen der Bevölkerung, deren Meinung im „Zukunftsforum“ im Dez. 2021 abgefragt wurde und auch den Forderungen von „Merret reicht’s“.

Wie lauten die Empfehlungen der CIMA, um dieses Ziel zu erreichen? | Was ist zu tun? 


Es braucht ein städtebauliches Entwicklungskonzept nach §1 Abs. 6 No. 11 BauGB (CIMA, S.41) z.B. auf Basis des Beherbergungskonzeptes. Dies wäre in der Lage, eine Schwelle für ungeregeltes Bauen zu errichten; es führt gleichsam zur Umkehr der Beweislast, so dass jeder Bauherr nun beweisen muss, dass sein Projekt unschädlich im Sinne der oben genannten Problemstellungen ist. Voraussetzung: Die Gemeinde muss dieses durch die Gemeindevertretung wirksam beschließen. Es würde die hoheitliche Aufgabe der Gemeinde unterstreichen, eine „nachhaltige städtebauliche Entwicklung“ zu erbringen, welche die „sozialen, wirtschaftlichen und umweltschützenden Anforderungen auch in Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen in Einklang bringt“ (§1, Abs. 5, BauGB).
Auf Basis des Städtebaulichen Entwicklungskonzeptes sind sodann alle Bebauungspläne schnell und dringlich zu überarbeiten. Bisher ungeplante Gebiete, wie §34-BauGB-Gebiete, sind zwingend, dringend mit einem qualifizierten Bebauungsplan zu belegen. Bis dahin könnten Veränderungssperren beschlossen werden.

Aufgrund der gesetzlich verankerten hoheitlichen Aufgaben der Gemeinde ist es wiederum Aufgabe des Kreises Nordfriesland, beratend, genehmigend und kontrollierend bereit zu stehen. Für beides sind dann Kapazitäten im Amt für Umwelt und Bauen als auch beim Kreis Nordfriesland umgehend bereitzustellen.
Eine inselweite Wirksamkeit wäre dann gegeben, wenn sich auch die Amtsgemeinden der Insel mit in diesen Prozess einbinden.
Da der Umwandlungsprozess und das Verhältnis von Dauerwohnnutzung zu Ferienwohnnutzung schon ein bedenklichen Ungleichgewicht erreicht hat und die Planungswerkzeuge zu einer eigentlich dringend nötigen Rückgewinnung von Dauerwohnraum nicht mehr genügen, empfiehlt die CIMA auf Landesseite zur dringenden Schaffung eines Zweckentfremdungsgesetzes.

Nachfolgende – immer wieder vorgetragende Bedenken – bremsen den Prozess.

Hier stellt sich die Frage: Stimmen sie überhaupt und wie relevant sind sie vor dem Hintergrund der nun dokumentierten Gefahren für die Insel?

Die „Sozial“-These: In unserem Fallbeispiel will ein älterer Vermieter seine kleine Rente durch Kleinvermietung aufbessern und wird durch das Beherbergungskonzept künftig blockiert.

Wie viele Fälle sind dies tatsächlich konkret im Vergleich zu den abertausenden von Betten, die sich in gewerbsmäßigen Vermietungen in Kellern und Spitzböden befinden? Wie ließen sich diese Einzelfälle lösen? Vielleicht durch Härtefallregelungen?

Die „Kapital“-These: Sylter Familien benötigen Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung um geerbtes oder erworbenes Eigentum zu refinanzieren.

Wie viele betrifft dies? Gibt es Hilfestellungen durch Sylter Anwälte, Steuerberater, wie diese Probleme konkret zu lösen sind?

Die „Enteignungs“-These: Durch eine Veränderung des B-Planes verliert mein Grundstück an Wert, so dass es einer Enteignung gleich kommt.

Ob im Einzelfall überhaupt ein Schaden entsteht, muss im konkreten Fall geprüft werden. Hierbei sind drei Faktoren besonders zu beachten:
Zeitpunkt der Überplanung: Prinzipieller Gedanke eines Bauleitverfahrens ist, einem aktuellen Planungsbedarf Raum zu bieten. Ist die Planung nach 7 Jahren nicht realisiert, kann der Gesetzgeber davon ausgehen, dass es keinen Bedarf mehr gibt und entschädigungsfrei verändern. Spekulation auf weiteres Steigen des Bodenpreises ist nicht Ziel und Sinn des Baugesetzbuches.
Wesentlichkeit der etwaigen Wertminderung: Der Planungsschaden muss eine wesentliche Wertminderung darstellen. Die Autoren der CIMA verweisen darauf, dass die hohen Bodenwerte alle Nutzungen betreffen.
Differenz zur tatsächlich ausgenutzten Nutzung: Eine Übernutzung eines Gebietes durch Fewos mit Verkehr und andere Auswirkung kann ebenfalls Wertminderung bedeuten. Mit anderen Worten: eine Einschränkung der Nutzung könnte auch wertsteigernde Effekte haben. So dass die Differenz zur tatsächlichen Nutzung weitaus geringer ist als weithin angenommen.

„Die Aspekte der 7-Jahresfrist, der Wesentlichkeit der Wertminderung und der Differenz zur tatsächlich ausgeübten Nutzung haben für die potenziellen Änderungen von Bauleitplänen in der Gemeinde Sylt ein stark minderndes Gewicht,[..]“ (S.43, CIMA)

Die „Wachstums“-These: Sylt und seine Einwohner brauchen Wachstum, d.h. ständig steigende Gewinne.
 Spätestens seit dem Bericht des „Club of Rome“ gibt es deutliche Zweifel an der Theorie des unendlichen nötigen quantitativem Wachstum, da die Ressourcen das einfach nicht mehr hergeben, weil sie schlicht begrenzt sind. Ressourcen, insbesondere Fossile Energien, Flächen, Natur, Arbeitskräfte und Wohnraum sind auf einer Insel von Natur aus begrenzt. Unendliches Wachstum gibt es auf einer Insel nicht. Zudem bedarf es einer neutralen Bewertung etwaiger alternativer Wachstumswege z.B. Saisonverlängerung durch einen ausgewogenen „Expertenkreis“.

„Merrets“ Anregungen zur Weiterentwicklung des Beherbergungskonzeptes.
Ergänzung des „Expertenkreis“, um relevante Stimmen aus der Bevölkerung. ZB. Natur- und Denkmalschutz, Kirche, „Merret reicht´s – aus Liebe zu Sylt“ ( Bürgerrat), Schulen, Sportvereine.
Vervollständigung des Gutachtens um die Belegungszahlen aus den Jahren 2020 und 2021. Auch wenn diese durch die Pandemie beeinflusst sind, geben sie dennoch eine Tendenz an, die Berücksichtigung finden sollte.
Derzeit sieht das Beherbergungskonzept einen Freibrief für 4-5 Sternehotels in allen Ortsteilen und Kurkliniken im Ortsteil Westerland vor.

„Merret reicht’s – Aus Liebe zu Sylt“ hält hier die Ergänzung für dringend notwendig, dass es sich hierbei um keine zusätzlichen Bauten, keine zusätzliche Versiegelung handeln darf.
§34-Gebiete sind nicht benannt. Hier bedarf es der Nachbesserung und Überplanung, um Wildwuchs zu vermeiden.
Ein Zweckentfremdungsgesetz auf Landesebene ist anzustreben (Beispiel Niedersachsen – Gemeinde erhält Auskunftsrecht und Begehungsrecht sowie Erhebung einer Ordnungswidrigkeit)

Merret’s Fazit. 
CIMA hat hier eine sehr gute Fakten-Grundlage geschaffen, auf Basis derer die Selbstverwaltung zügig – und ohne weitere Verzögerungen und Umwege – beschließen sollte. 
Ergänzend gilt es, die Kapazitäten in Verwaltung und beim Kreis zügig zu anzupassen, um diese Herkulesaufgabe umzusetzen.

Das ist viel. Viel Arbeit. Aber ohne diese Arbeit anzugehen, wird die Insel bald weder Wohnraum für Insulaner sein, noch ein Markt für touristische Nutzungen. Denn ein Zusammenbruch des Marktes ist nicht mehr fern. Die Kettenreaktionen sind bereits spürbar und sichtbar. Erinnern wir uns an den Aufruf von Landrat Florian Lorenzen (CDU) vom Anfang des Jahres: „Ich kann den Akteuren auf der Insel nur zurufen: Habt noch mehr Mut, ambitionierte Beschlüsse zu fassen!“ (SR, 20.01.2022). Packen wir es an!

Nachtrag:

Entgegen der Zusage von Bürgervorsteher Frank Zahel bei der Vorstellung des Beherbergungskonzeptes am 03.05. dieses schnell durch die Gremien (Juni-Sitzung Bauausschuss, August-Sitzung Gemeindevertretung) mehren sich die Anzeichen, dass das Konzept erst im September im Bauausschuss der Gemeinde zur Abstimmung kommen wird. Ohne Begründung. „Merret reicht’s – Aus Liebe zu Sylt“ ist fassungslos.

Beherbergungskonzept_Sylt