Allgemein

Liebe Sylterinnen und Sylter, liebe Freundinnen und Freunde, denen diese Insel am Herzen liegt,

Sylt wird nicht größer. Sylt wird kleiner. Die Nordsee nimmt sich jedes Jahr ihren Teil. Aber auch die Menschen greifen zu. Man hat das Gefühl, dass Sylt verliert. Jeden Tag ein Stück mehr. Seine Wiesen, seine Gärten, seine alten Häuser, seine Weite, seine Bewohner, seine Lebenslust. Sylt verliert, was es so einzigartig macht – seine Identität.

Ich selbst bin auf Sylt aufgewachsen und betreibe seit 27 Jahren eine kleine Goldschmiede in meinem Heimatort Keitum. Auch meine Tochter ist hier groß geworden. Nun bin ich zunehmend von leeren Häusern umgeben. Der Corona-Lockdown zeigte es besonders deutlich, 80 Prozent der Häuser und Wohnungen in meiner direkten Umgebung sind unbewohnt. Und es wird immer weiter verkauft, gebaut und verdichtet. Jede noch so kleine Lücke wird ausgenutzt für neue Eigentumswohnungen, Hausscheiben, Ferienapartments, die dann wieder für den Gästebetrieb und Zweitwohnungsbesitz reserviert sind, der ansässigen Bevölkerung nicht zur Verfügung stehen.

Jedes Jahr verliert die Insel 100 Wohnungen und Häuser, in denen Einheimische gelebt haben. Das soziale Gefüge unter uns Syltern löst sich langsam auf. Unser wunderschöner Lebensraum ist nun ein Wirtschaftsraum geworden, in dem in erster Linie der Markt regiert. Und nicht mehr der Mensch.

Die Straßen sind für den wachsenden Autoverkehr nicht ausgelegt. Der Tourismus ufert aus. An einem Sommertag tummeln sich mehr als 100.000 Menschen auf dieser kleinen Insel. Fünfmal so viele wie die Insel Einwohner hat.

Es ist genug. Sylt ist auf falschem Weg. 

Jeder von uns spürt es auf seine Weise in seinem Ort, wir können und dürfen so nicht weitermachen. Der Luxus ist für Sylt zur Bedrohung geworden. Das sollte allen zu denken geben. Nicht nur viele Einheimische empfinden das so, man hört es auch überlaut von Urlaubern und Zweitwohnungsbesitzern. Sie vermissen Ruhe und Entschleunigung. Das Besondere ist dem Beliebigen gewichen.

Wenn sich nun auch schon unsere Gäste unwohl fühlen, dann sollten alle Alarmglocken schrillen. Es war für alle so einfach in den vergangenen Jahren, Sylt bot für jede Geschäftsidee, jedes Event, die verrücktesten Ideen Platz und Möglichkeit.

Ich weiß, dass es enormer Anstrengungen bedarf, gemeinsam mit der Politik und der Verwaltung Veränderungen durchzusetzen. Aber wenn wir es jetzt nicht versuchen, darf uns die nachfolgende Generation zu Recht den Vorwurf machen, dass wir die Insel zu früh aufgegeben haben. Aus diesem Grund gibt es seit einigen Monaten das insulare, überparteiliche Bürgernetzwerk „Merret reicht‘s“, um sich um diese Zukunftsthemen zu kümmern. Wir brauchen für die Zukunft alle guten Kräfte.

Wann schützen wir endlich den Altbestand des Wohnraums? Wie schützen wir „Rantum Inge“ und unsere letzten Denkmäler? Sylt kann und muss endlich seinen Beitrag zum Schutz des Klimas leisten – es liegt in unserem ureigensten Interesse! Wie schützen wir die einzigartige Natur in List, wo die Stadthäuser der verschiedensten Projekte wie „Dünenpark“ und „Dünenkrone“ die Landschaft unwiederbringlich zerstören werden? Was wird die Coronakrise aus unseren Jugendherbergen und Erholungsheimen machen, die an den schönsten Orten der Insel stehen? Es kreisen schon die Investorengedanken über diesen Immobilien…

Diese Landesregierung hat sich zwar die „Ressourcenschonung“ auf die Fahnen geschrieben, doch Papier ist geduldig. Wir erleben, wie landesplanerische Vorlagen, die sich momentan in Neuaufstellung befinden, deutlich in eine andere Richtung weisen. Ausgerechnet für Sylt wurden die bisher noch restriktiveren Planungsziele des Landes mit einem Abweichungsverfahren befördert. Ergebnis ist ein Feriendort mit neunzig Einheiten in List. Warum? Wozu?

Wir Sylter erleben, wie wirtschaftliches Wachstum die Abwirtschaftung der Inselgemeinschaft bedeutet. Es geht nicht mehr um Wohlstand. Wir werden am Luxus ersticken.

Sylt ist mit diesem Problem nicht allein. Palma, Barcelona, Venedig arbeiten längst an Strategien für eine bessere Balance zwischen Tourismus und Alltagsleben.

Unsere Nachbarn an West– und Ostküste schauen inzwischen mitfühlend auf uns, und wollen sich selbst unbedingt vor „Sylter Verhältnissen“, der „Syltrifizierung“, schützen.

Die Gemeinde Sylt wählt am kommenden Sonntag einen neuen Bürgermeister. Es sollte derjenige gewählt werden, der besonnen, aber auch mutig und entschlossen, diese Probleme in Angriff nimmt, der die Nöte der hiesigen Bevölkerung im Blick hat. 

Es sollte derjenige gewählt werden, der für uns Bürgerinnen und Bürger und niemand anderes „Partei ergreift“. Und der auf mehr Bürgerbeteiligung und Dialog setzt.

In den nächsten sechs Jahren wird er sehr wesentlich dazu beitragen müssen, dass unsere Insel als Heimatort gestärkt wird und dazu all sein Fachwissen brauchen.

Und wir Bürgerinnen und Bürger müssen ihm dafür den Rücken stärken – aber auch einfordern, was uns vor der Wahl versprochen wurde.

Nur als Heimatort kann Sylt auch weiterhin noch ein guter und qualitativ hoher Wirtschafts- und Erholungsort bleiben. Es braucht mehr Miteinander und ein klares Bekenntnis zu Sylt als Ganzem.

Und dazu müssen wir jetzt erst einmal wählen gehen!!

 

Birte Wieda

für „Merret reicht`s – aus Liebe zu Sylt“